Mission Beach, Townsville, Home Hill

Heute muss es ein Campingplatz sein. Wir brauchen dringend eine Dusche und wollen Wäsche waschen. Alle elektronischen Geräte müssen geladen werden, deswegen fahren wir zurück nach Mission Beach und checken ein. Der Platz ist fast vollständig belegt. Obwohl wir nun wieder Nachbarn haben, gestaltet es sich schwierig mit Leuten in Kontakt zu kommen. Besonders jüngere Menschen grüßen nicht und schauen uns nicht einmal in die Augen. Direkte Kommunikation ist unerwünscht, alles läuft über Social Media. Die älteren sind freundlich, zugänglich und hilfsbereit. Abends gibt es Livemusik in der Bar. Eine Weile lauschen wir den Gitarrenklängen, bis es Zeit wird schlafen zu gehen. 

Morgens geht es schnell noch ins nächstgelegene Einkaufszentrum, um Vorräte aufzufüllen. Unser Kühlschrank hat nur 85 Liter, daher leistet uns die 33 Liter fassende Kühlbox, die wir in Cairns angeschafft hatten, gute Dienste. Sie wird jeden Tag frisch mit Eiswürfeln bestückt, die man an jeder Tankstelle oder im Bottle-Shop für wenig Geld erwerben kann. Nun sind wir bereit, für mindestens zwei Tage "in der Wildnis" durchzuhalten. Wir suchen uns das Kaff Forrest Beach aus. Für 10 Dollar können wir uns eine Genehmigung ausstellen lassen, die uns berechtigt, eine Nacht auf dem Dorfplatz zu nächtigen. Der Strand ist nur einen Steinwurf entfernt. Niemand gesellt sich zu uns. Es tauchen weder Camper, andere Fahrzeuge noch Dorfbewohner auf. Kleine Papageien, sogenannte Loris, kreisen um unsere Köpfe. Sie haben es kreischend auf die Mangos abgesehen, die in Hülle und Fülle an Schatten spendenden Bäumen hängen. Der Strand ist leergefegt. Schöne Atmosphäre, vielleicht ein bisschen zu einsam. Man kann es uns aber auch nicht Recht machen.

Weiter geht die Reise. Der Bagal Beach, nahe der Stadt Townsville ist bei Campern bekannt, denn hier kann man kostenlos übernachten. Wir sind früh da und ergattern ein schattiges Plätzchen. Ein kleines Restaurant lädt zum Mittagessen ein. Fish and Chips ist kein Festessen, gehört aber zu Australien, wie die Wurst zu Deutschland. Friedrich lernt während ich Blog schreibe einen deutschsprachigen Elsässer mit seiner Frau kennen. Sie haben nur 4 Wochen Zeit, wollten eigentlich nur in Sydney und Umgebung bleiben, entschlossen sich jedoch wegen schlechten Wetters in den hohen Norden zu fliehen. Die beiden Franzosen haben eben mal so 3000 Kilometer abgerissen, um in wenigen Tagen die gleiche Strecke wieder zurückzufahren. Da haben wir es besser. Noch knapp 11 Wochen liegen vor uns.

Den Abend können wir nicht draußen genießen. Statt Mücken gibt es Sandfliegen. Den Angriff der Winzlinge bemerkt man erst, wenn es bereits zu spät ist. Am nächsten Tag sehen meine Arme aus, als hätte ich Masern, überall Pusteln. Nachts komme ich kaum zum schlafen, weil mich der Juckreiz fast wahnsinnig macht. Fenistil hilft nicht. Friedrich hat keine Probleme. Ich bin sein bestes Insektenschutzmittel.

In Townsville gönnen wir uns einen 5 Sterne Campingplatz. Die Fahrräder werden abgeschnallt und die Innenstadt per Drahtesel erkundet. In der Brauerei schenken sie kühles, süffiges Bier aus. Obwohl Wochenende ist, wirkt die Stadt wie ausgestorben. Am frühen Abend radeln wir heim, immer an der breiten Strandpromenade entlang. So sehr das Meer an vielen Stellen zum Schwimmen oder Schnorcheln lockt,  entweder machen Krokodil, lebensgefährliche Würfelquallen oder beides den Badespaß unmöglich. Bikini und Badehose fristen ihr trauriges Dasein im Schrank.

Townsville ist die größte Stadt im Norden von Queensland(180000 Einwohner). Genau wie Cairns nennt man die Stadt Tor zum Great Barrier Reef. Vorgelagert ist die Insel Magnetic Island. Die nur 20 minütige Fahrt dorthin mit der Fähre nehmen wir uns für morgen vor.  Magnetic Island bietet einsame Strände, unberührte Natur und einige kleine Ortschaften. Das Wetter soll das ganze Jahr über konstant sein. Wir lesen, dass es auf Magnetic Island viel weniger regnet, als in den Wet Tropics im Norden und den Whitsunday Islands im Süden des Great Barrier Reefs.

Pech gehabt, am nächsten Tag regnet es Bindfäden. Das schlechte Wetter sitzen wir nicht aus. 

Der Weg führt uns weiter gen Süden. Home Hill ist ein wohnmobilfreundliches Straßendorf. Zwischen Bruce Highway und Bahngleisen finden wir einen Parkplatz mit angeschlossenem Toilettenhäuschen. Ein Baum spendet bei brütender Hitze ein wenig Schatten. Menschen sieht man keine, schon wieder alles wie ausgestorben. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befindet sich ein Pub. Mal sehen, ob sich wenigstens dort ein paar Gestalten rumtreiben.

Tatsächlich, einige besondere Exemplare der Landbevölkerung mit breitkrempigen Hüten, ein paar Trucker, ein zahnloser Italiener kauern beim ersten Bier an der Theke. Ich zögere, sollen wir uns hier wirklich niederlassen? Es ist keine Frau zu sehen. Friedrich, wild entschlossen, setzt sich an  den Tresen, obwohl ihn die ohrenbetäubende Musik vom CD Player stört. An der Wand hängen Fotos aus den 30ger Jahren, die Zuckerrohrarbeiter bei der Ernte zeigen. Der Fernseher läuft und auf weiteren Bildschirmen können die Gäste ihre Keno Lotteriezahlen vergleichen.

Der Wirt freut sich über neue Gesichter. Wir sind ein gefundenes Fressen für ihn. Er will sofort wissen, wo wir herkommen und wohin uns der Weg führt. Zum Glück dreht er die Musik etwas leiser, um einen Spruch nach dem anderen herauszuhauen. Das Bier fließt in Strömen. Jetzt soll geraten werden, wer das nächste Lied singt, dass der schlanke, umtriebige Gastwirt auflegt. Er dreht den Knopf auf volle Lautstärke. "Derjenige, der richtig rät, bekommt ein Bier spendiert", posaunt der angetrunkene Kneipier in die Runde. Er legt einen Song von Harry Belafonte auf. Friedrich singt lauthals mit "Day-o, day-o, daylight come and me wan' go home, day, me say day, me say day me say day-o" und kennt auch den Namen des Künstlers. Prompt steht ein frisches Bier vor ihm.

Jetzt geht's los. Der Wirt ist nicht mehr zu halten. Er zieht seine Schuhe aus, dann die Shorts. Friedrich soll beim Striptease mitmachen. Was hat der genommen, fragen wir uns. Auf einem der Schilder im Schankraum steht geschrieben " Ich habe LSD in eine der Flaschen getan und vergessen, welche es war". Wahrscheinlich hat er die Flasche selbst erwischt. Alle lachen.

Mein Mann behält die Hose an. Die Wirtin, eine schlanke Mittfünfzigerin, holt neue Bierfässer für die Kühlanlage und stellt die Musik leiser. Unser Freund hinter der Theke dreht sie wieder auf, springt auf den Tresen und will mit mir Tabledance vorführen. Alle klatschen rhythmisch, um mich zu animieren. Klappt nicht. Ich bin viel zu nüchtern. Der durchgeknallte Wirt bietet mir stattdessen "Lammhoden" zum probieren an. Alles jubelt, als ich beherzt zugreife. Natürlich handelt es sich nicht um das Gemächt eines Schafes, sondern um saure Pflaumen, so schmeckt es wenigstens.

Der exzentrische Schankwirt beruhigt sich endlich und erzählt, dass er alle sieben Weltmeere bereist hat. Als er und seine Frau keine Lust mehr hatten unterwegs zu sein, ließen sie sich in Home Hill nieder, da der Pub für kleines Geld zum Verkauf stand. Er verkündet stolz, dass die Leute von weit her, selbst aus dem Outback kämen, um mit ihm Spaß zu haben. Glauben wir ihm.

Bevor wir die nächsten Einheimischen, die immer näher rücken, kennenlernen, räumen wir das Feld. Es reicht für heute. Als wir erschöpft ins Bett fallen, stellen wir fest, dass womöglich die ganze Nacht Güterzüge nah an unserem Auto vorbeirattern werden. Sie machen sich durch schrille Signale schon viele hundert Meter vorher bemerkbar. Road Trains brausen nur wenige Meter neben uns auf dem Highway mit donnernden Motoren gen Süden. Um vier Uhr morgens beginnen Loris (kleine Papageienvögel) lautstark zeternd Nektar aus den Blüten des Baumes zu naschen, unter dem wir stehen. Was für eine Nacht. Geschlafen haben wir dennoch tief und fest. Hat uns der Wirt was ins Glas gekippt?