4. Markttag in Mires, Agios Pavlos

 Trotz aller Vorsätze werden wir erst um halb zehn wach. Jetzt aber schnell. Kurzes Frühstück und los. Wider Erwarten finden wir gleich einen Parkplatz. Friedrich begibt sich tapfer mit den Krücken in das Marktgetümmel. Die Hauptstraße ist gesperrt. Hier dürfen die Händler ihre Waren feil bieten. Lebensmittelstände sind im westlichen Teil nur spärlich vorhanden.

 

Dafür gibt es Kleidung, Gürtel, Schuhe, Haushaltswaren, Messer, Schmuck. Uns interessieren getrocknete Kräuter, die für einen Bruchteil des Geldes, dass ich in dem schönen Laden in Listros ausgegeben hatte, angeboten werden. Nach einigen 100 Metern gibt Friedrich auf. Er kann nicht mehr laufen und lässt sich in einem Kafenion nieder. Ich spaziere bis zum Ende des Marktes weiter.

 

Interessanter als die Waren anzuschauen ist es, die Leute ringsum zu beobachten. Die Hälfte der Marktbesucher sind Deutsche. Leute, die hier ganzjährig leben, Ferienhäuser besitzen oder wie wir nur ein paar Wochen Urlaub machen. Manche führen ihre teuren Markenklamotten spazieren, andere bekennen sich zur Hippiekultur, sind von Hals bis Fuß tätowiert, die Haare zu Rastazöpfen verfilzt. Viele kennen sich. Eine alte, ganz in schwarz gekleidet, gebückt, am Stock laufende, griechische Frau bettelt wehklagend. Wir geben ihr ein paar Euro. Die Einheimischen der umliegenden Dörfer treffen sich, um ein Schwätzchen zu halten. Wir begegnen dem Pfälzer Paar und tauschen ein paar Worte aus.

 

Abends lernen wir bei Markos eine Berliner Künstlerin kennen. Sie lebt 6 Monate in Deutschlands Hauptstadt und 6 Monate in Kamilari in einem gemieteten Appartment. Das muss sie jetzt verlassen, da die Familie es selbst benötigt. Die 79jährige war Lehrerin, ist jedoch mit bereits 39 Jahren aus psychischen Gründen in Frühpension gegangen. Sie erzählt viele Geschichten aus ihrem Leben. Wir sind ja auch schon ein paar Tage auf der Welt und haben einiges erlebt. So wird es ein langer, kommunikativer, sehr schöner Abend. Zum Schluss umarmen wir uns herzlich, wie alte Freunde.

Schon mehrmals hatten wir versucht erneut bei Kostas in Sivas in dem besonderen Kafenion mit den vielen Ikonen einzukehren. Aufgrund der mangelnden Parkplätze in den engen Gassen, mussten wir zweimal weiterfahren. Diesmal nimmt Friedrich allen Mut zusammen, parkt unten an der kleinen Kirche und kraxelt den Berg hinauf ins Dorf. Kostas ist ein feingliedriger, leise sprechender Mann, der perfekt italienisch spricht, weil er in Rom studiert hat. Man trifft bei ihm immer Leute und kommt mit manchen ins Gespräch. 2 Paare sind anwesend und studieren die vielen deutschen Bücher über Kräuter, Wildblumen, Religion, Mythologie, die Kostas jedem Gast zur Ansicht anbietet.

Mit einem der Paare ergibt sich nach kurzer Zeit ein Gespräch. Kostas hatte ihnen einen Limonenlikör angeboten, den wir nun auch verkosten dürfen. So kommt man zusammen. Sehr nette Leute, die schon oft in der Gegend Urlaub gemacht haben. Wir sind gerührt, als sie uns von einer Südafrikareise berichten, die er ihr zum 50. Geburtstag geschenkt hatte, weil sie Elefanten so mag.

 

Nachmittags veruchen wir Kuchen-Uwe zu finden. Der Typ ist Anfang der Siebziger in Matala hängengeblieben. Später trieb es ihn auf dem Hippie-trail bis Indien und Nepal. Drogen und Alkohol waren stetige Begleiter. Anders als Kumpel von ihm, hat er die Kurve gekriegt. Seit Jahren verkauft er im Sommer Kuchen und Kaffee am langgestreckten Kommos Strand, in der Nähe von Matala. Vielen Gästen erzählte er aus seinem bewegten Leben. Nicht wenige ermunterten ihn, darüber ein Buch zu schreiben. Als in der Coronazeit die Kunden ausblieben, kehrte er nach Deutschland zurück und machte den Wunsch seiner Kunden wahr. Mit Hilfe eines Co-Autors schrieb er seine Autobiographie.

 

Jetzt soll er wieder am Strand zu finden sein. Der Weg zu diesem Strandabschnitt kann man nur über eine schlecht befahrbare Schotterstraße erreichen. Friedrich will den Unterboden des Mietautos nicht beschädigen. Wir beschließen zunächst mal das Buch runterzuladen und zu lesen. Dann werde ich den letzten Teil der Strecke zu Fuß ablaufen und mal schauen, ob wenigstens ich Uwe kennenlernen kann.

 

Zu fortgeschrittener Stunde kommen die beiden Landauer bei Markos vorbei. Wir sind natürlich längst vor Ort. Markos hat gute Laune und schenkt fleißig Raki aus. Da Friedrich mit Alkohol haushalten muss, kippe ich mir seinen Anteil hinter die Binde. Morgen ist ja Ruhetag. Die Pfälzer verabschieden sich, weil sie in einen anderen Urlaubsort auf der Insel fahren.

Ausgeruht starten wir zu einem Ausflug nach Agio Pavlos. Nachts sieht man von unserer Terrasse aus die Felsen des äußersten Endes der Bucht, die man aufgrund der Form den schlafenden Drachen nennt. Den wollen wir uns mal aus der Nähe ansehen. Von Agia Galini führt eine schmale Straße den Berg hinauf mit fantaschen Ausblicken auf das Meer. Leider gibt es hier keine Gelegenheit anzuhalten. Wir passieren die Bergdörfer Melambes und Saktouria und schleichen über viele Serpentinen hinab nach Agios Pavlos.

 

Die Landschaft ist überwältigend. Der winzige, abgelegene Ort zieht nur wenig Besucher an. Dennoch verschlägt es einige Urlauber an diesen traumhaft gelegenen Strand, denn das Wasser ist glasklar und die Wellen sanft. Gewaltige Sanddünen haben sich am anderen Ende der Bucht aufgetürmt. Ich besteige eine Treppe, die vom Strand hinauf auf ein Plateau führt. Noch ein paar hundert Meter den Berg hinauf und ich erreiche eine einfache Taverne, in der man toll Fisch essen können soll. Der Wind peitscht mir ins Gesicht. Außerdem ist kein Mensch zu sehen. Ich kehre zurück zu Friedrich, der in einem Café gewartet hat. Während der Rückfahrt gibt es diverse Haltebuchten, sodass ich schöne Fotos machen kann.

 

Kurz vor Timbaki lädt ein unspektakulärer Strandort zum Verweilen ein. Am Sonntag hatten wir keinen Parkplatz gefunden und versuchen es heute erneut. Obwohl es hier immer windig ist, gefällt uns die Atmosphäre. Sonntag gab es viele Wellen und am einsamen Teil des Strandes kam Australien-feeling auf. Heute suchen wir uns ein Beach-Café am belebteren Strandabschnitt. Kaum haben wir Getränke bestellt, winkt uns das sympathische Paar von neulich aus Kostas Kafenion freundlich zu. Sie begrüßen uns herzlich und wir geben uns gegenseitig Ausflugstipps. Was für ein Zufall, dass wir uns ausgerechnet das Lokal ausgesucht haben, wo die zwei einen Nachmittag am Strand verbringen.

Trotz Parkplatznot am Abend in Kamilari wagen wir uns in den Nachbarort Pitsidia, um auf die Empfehlung der Aschaffenburger bei Barbis essen zu gehen. Ich wähle Kanninchen, Friedrich Kalbsgulasch. Wie so oft, bekommen wir Portionen, die für 4 gereicht hätten. Sehr lecker.

 

Der Straßenverkehr ist auf Kreta sehr gewöhnungsbedürftig. Selbst wenn in der Provinzstadt Mires 2 parallel verlaufende Hauptdurchgangsstraßen jeweils zur Einbahnstraße erklärt wurden, kommt man kaum voran. Im uneingeschränkten Halteverbot stehen Fahrzeuge in dritter Reihe geparkt.

 

Der fießende Verkehr sucht sich eine Lücke, um weiterzukommen, Mopeds, Fußgänger überqueren die Straße, ohne nach rechts und links zu schauen. Die mit Warnblinklicht parkenden Fahrzeuge fahren plötzlich doch los. Ich stehe immer kurz vor dem Herzinfarkt, wenn wir durch Mires oder Timbaki fahren. Das ist schlimmer als in Thailand. Friedrich flucht und hupt, was das Zeug hält. Dabei muss er vorsichtig sein. Viele Griechen sprechen und verstehen deutsch. Die Hitzköpfe könnten vor Wut über einen Kraftausdruck absichtlich unser Auto rammen.

 

"Pass gut auf im Straßenverkehr auf Kreta, das tut außer dir dort sonst keiner", schreibt Heinz Peter Wagner in seinem Buch Kretische Einsichten, das Kostas uns zum Lesen gegeben hatte.

 

Südkreta ist wunderschön. Es gibt unendlich viel zu entdecken. Ein El-Dorado für Individualisten. Kein Massentourismus. Die Griechen, mit denen der Urlauber zu tun hat, Vermieter, Gastronomen, Supermarktkassiererinnen, Geschäftsinhaber sind alle unglaublich freundlich, aufgeschlossen und ansprechbar.

 

Im Straßenverkehr gelten andere Verhaltensweisen. Wer Italiener für Machos hält, hat es noch nicht mit Kretern auf den Insellandstraßen zu tun gehabt. Nicht vorausschauend, egoistisch, agressives, draufgängerisches Verhalten. Ein Arm immer lässig aus dem Fenster baumelnd, Handy am Ohr, mal schnell dem Tourist, den man für einen unfähigen Autofahrer hält, die Vorfahrt genommen.

 

Die zweite Gruppe, die uns nur bedingt sympathisch ist, besteht aus einigen Deutschen, die hier seßhaft geworden sind. Sie fühlen sich dem Normal-Urlauber weit überlegen. Schließlich kennen sie sich aus, nicht nur in der Gastronomie der umliegenden Dörfer, sondern sind auch befreundet mit Antoni, der besonders tolles Olivenöl macht, Manolis, der ihnen den selbst gekelterten Wein vorbeibringt und Anna, die die besten Kuchen im Dorf backt.  Besoffen von der eigenen Eitelkeit bekommen sie nicht mit, dass  der ein oder andere Tourist über Reise- oder Lebenserfahrungen verfügt, die spannender anzuhören wären, als die sich ähnelnden Geschichten über die Auswanderung nach Kreta.

 

Dennoch haben wir viele nette, aufgeschlossene, gesprächsbereite Leute kennengelernt. Der Geist der minoischen Kultur ist weiterhin lebendig. Die Minoer sollen ein sinnesfreudiges, dem Genuss zugeneigtes Volk gewesen sein. Sie ließen gern mal fünf gerade sein, liest man in Büchern, die uns Kostas reicht. So wollen wir auch weiterhin den Ahnen der einstigen Hochkultur gutes Einkommen verschaffen, indem wir ihre Lebensart verinnerlichen, fleißig dem guten Wein zusprechen und die reichlichen Speisen, die uns kredenzt werden, auskosten.

 

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