Chiang Mai, wir kommen wieder

Wir schreiben das Jahr 2014. Wie soll ich mir Chiang Mai vorgestellen? »Beschaulich, idyllisch, authentisch« sind Attribute, die meine Phantasie beflügeln. So wird die Atmosphäre im Reiseführer beschrieben. Das Buch muss veraltet sein, denke ich, als ich die vielen vollgestopften Cafés, modernen Restaurants, Scharen von Touristen aus aller Welt, tosenden Verkehr und die verpestete Luft wahrnehme. Die Rose des Nordens, wie die zweitgrößte Stadt in Thailand genannt wird, hat inzwischen viele Dornen. Ich brauche eine Weile, bis ich die Stadt am Ping Fluss lieben lerne.


Unser Hotel liegt außerhalb der Altstadt im Westen der Stadt an einer vielbefahrenen Ringstraße. Der Flughafen ist nah und ein großes Shoppingcenter liegt nur wenige hundert Meter entfernt. Wir hätten wissen können, dass in dieser Lage kaum romantisches Flair zu erwarten ist. Dafür ist das Hotelpersonal nicht nur freundlich, sondern herzlich und uns zugewandt. Wir bekommen ein schönes, ruhiges Zimmer im fünften Stock ganz oben. Das Frühstück wird auf der Dachterrasse serviert und lässt keine Wünsche offen.


Zunächst bewegen wir uns mit gemieteten Fahrrädern fort, stellen aber bald fest, dass wir ein Moped brauchen. Damit können wir unseren Radius erweitern und Ausflüge in die Umgebung machen.

Abends bummeln wir durch die labyrinthartigen Gassen der Altstadt, die innerhalb eines Vierecks liegt, von einem Wassergraben umgeben. Früher gab es eine Stadtmauer. Teile der Mauer wurden rekonstruiert und die vier Tore in allen Himmelsrichtungen erleichtern uns die Orientierung. Dennoch verlaufen wir uns, nicht nur einmal. In den schmalen Gassen geht es ruhiger zu. Wir finden kleine Restaurants ohne englische Speisekarte. Sie werden hauptsächlich von Einheimischen aufgesucht. Offene Handwerksbetriebe, nette Holzhäuschen mit idyllischen Gärten und überall Tempel, auch solche, in denen es wohltuend still ist. Es gibt also doch noch den dörflichen Charme, Beschaulichkeit und malerisches Flair.

Wir sind erstaunt, dass die Menschen anders als in Bangkok unglaublich viel Geduld mit gestressten Touristen haben. Wenn die Urlauber es wieder einmal eilig haben, im Supermarkt, Telefonladen oder im Restaurant, bleiben die Thais in Chiang Mai freundlich und gelassen.
Friedrich hat gelernt sich im Verkehr auf dem Moped wie ein Fisch im Strom zu bewegen. Wenn der Fluss zum Stehen kommt, mogelt er sich gewieft an Bussen, TukTuks, Sammeltaxis (Songthaews) und Pick-ups vorbei. Das hat er sich von den Einheimischen abgeguckt. Ich fühle mich so sicher auf dem Soziussitz, dass ich sogar während der Fahrt Videos aufnehme.


300 Tempel, Monumente, Buddha Statuen, Märkte, Walking Streets, die bezaubernd exotische Landschaft nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt stimmen mich versöhnlich. Sehenswürdigkeiten, Shopping, historische und religiöse Kulturstätten mögen viele faszinieren. Wir lassen den ein oder anderen Tempel aus und haben es mehr auf menschliche Kontakte abgesehen.


Im Sammeltaxi treffen wir eine vielleicht 50jährige Kanadierin mit ihrem jugendlichen Freund. Sie ist ganz aus dem Häuschen, als sie erfährt, dass wir Deutsche sind. »Ihr könnt stolz auf euer Land sein. Ihr habt eure Atomkraftwerke stillgelegt. In Vancouver ist nach Fukushima alles verseucht und Kanada hält trotzdem an der Atomkraft fest. Deswegen suchen wir ein neues Zuhause.Wir überlegen, ob Chiang Mai der richtige Ort für uns ist.« Sie ereifert sich über die Rücksichtslosigkeit der Politiker und beschreibt uns ihre Angst vor Radioaktivität. Den jungen Freund lässt sie nicht zu Wort kommen. Nach 15 Minuten Monolog über die Schlechtigkeit der Welt steigen beide aus. Wir sind erleichtert. Die Dame wäre uns auf Dauer zu anstrengend.

Jetzt steigt ein chinesisches Paar aus Shanghai zu. Sie sind gebildet, haben anspruchsvolle Jobs im IT Bereich und scherzen mit uns über die für sie zu scharfe thailändische Küche. Mal eben für 4 Tage aus der Heimat nach Chiang Mai zum Shoppen und Schlemmen jetten. Der chinesische, gehobene Mittelstand verhält sich ähnlich wie die im Westen zu Geld gekommenen Hipster.


Das Lokal »Writers Club and Wine Bar« zieht uns magisch an. Der Wein spielt leider eine untergeordnete Rolle. Wir lernen den eigenwilligen Wirt, Bob Tilley kennen, der noch mit Anfang 70 ein Kind gezeugt hat und darüber bekümmert ist, seine Autorentätigkeit vernachlässigen zu müssen. Bob war Korrespondent des Daily Telegraph. Jetzt führt er mit seiner Frau Tong diesen Club. Die Presseleute der Stadt geben sich hier ein Stelldichein.


Wir nippen an unserem Wein und bekommen mit, dass neben uns ein alternder Biograph den Sohn eines Vietnamveteranen nach der Historie dessen Vaters befragt. Hier trifft man Menschen, die etwas zu erzählen haben. Die großen Themen des Lebens werden erörtert: Leidenschaft, Freude, Liebe Schmerz , Angst und Tod.


Die Bar Li ist ein aus der Zeit gefallenes Juwel. Man sitzt auf Bambusstühlen, Kolonialstilambiente begeistert die Gäste. Aus dem Lautsprecher klingt Rockmusik aus den Sechzigern, kubanisch-und karibische Klänge, französische Chansons. Der Wirt ist freundlich, raucht unaufhörlich und freut sich über jeden Gast, der sein Etablissement betritt. Das Bier ist eisgekühlt. Barli, wie wir ihn taufen, muss einige Hindernisse überwinden, um an seinen Kühlschrank zu kommen. Die Bar ist vollgestopft mit Ramsch und Kitsch. Bierpakete stapeln sich, Durcheinander wohin man blickt. Die Toilette schmutzig, aber die Gemälde an der Wand sehenswert. Wir kehren jeden Abend hier ein. Barli wächst uns ans Herz.

Die Jugend hat für Barli keinen Sinn. Backpacker, junge Asiaten, digital nomads aus der westlichen Welt laufen vorbei und nehmen den Laden noch nicht einmal wahr. Dafür werden Leute in unserem Alter von der Musik und dem Ambiente magisch angezogen. Wir quatschen stundenlang mit einem Journalisten aus Berlin und seiner Frau. Er trägt einen Panamahut wie Robert Hetkämper, der ARD Südostasien Experte, der sich in den Ruhestand verabschiedet hat. Bier fließt in Strömen, Barli strahlt.

Am nächsten Abend unterhält Friedrich eine Gruppe Engländer am Nebentisch und beweist mit spartanischen Englischkenntnissen, dass ein Deutscher schwarzen Humor beherrscht. »Was sucht ein Einarmiger in der Fußgängerzone? Einen Secondhandshop.« Alle lachen. Barli darf die Luft aus den Gläsern lassen.

Weihnachten rückt näher. Eigentlich wollen wir nach am 25.12. weiterreisen. Ein Travellerpaar, das wir auf unserer Frühstücksterrasse kennenlernen, empfiehlt uns, bis Neujahr zu bleiben. In der Silvesternacht lassen die Menschen hunderte Lampions in den Himmel steigen. Ein Spektakel, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Diesen Ratschlag nehmen wir gern an und verlängern unseren Aufenthalt um eine Woche. Ein herrliches Gefühl, sich überall Zeit lassen zu können. Ohne einen Plan einhalten zu müssen, unterwegs zu sein für Monate, nicht nur wenige Wochen. Ein Hoch auf die Rente.


Manche Leute, die wir kennenlernen, sind nur kurz auf der Durchreise in Chiang Mai. Nicht nur aus Zeitmangel, sondern weil sie die Großstadt nicht so lange aushalten. Wir haben uns an das quirlige Leben gewöhnt, empfinden den zeitweise chaotischen Verkehr nicht mehr schlimm und schätzen die unzähligen Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Die Mischung aus Einheimischen und Touristen aus aller Herren Länder machen diese Stadt zu einem kosmopolitischen Treffpunkt.


Die meisten Thais geben ihr Bestes mit ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft all die Bedürfnisse der Gäste zu befriedigen. Wie überall wo sich viele Touristen aufhalten, gibt es auch Halsabschneider. Friedrichs Zornesfalte auf der Stirn schwillt jedes Mal an, wenn ein Songthaew Fahrer uns übers Ohr hauen will. Nur mit Mühe gelingt es meinem Mann, nicht sein Gesicht zu verlieren. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem im gesellschaftlichen Umgang mit Einheimischen passieren kann. Wer seine Beherrschung verliert, schreit, kritisiert oder zu ungeduldig ist, wird nicht respektiert, er entwürdigt sich selbst.


Das fällt uns schwer. Wir sind auch untereinander auf direkte Konfrontation getrimmt. Wenn wir beim Überqueren einer Straße laut Meinungsverschiedenheiten darüber austauschen, welcher Weg der kürzeste zu unserem Lieblingsmarkt sei, schaut man uns verächtlich nach. Mit dem öffentlichen Gezeter blamieren wir uns.


Märkte besuchen ist eine unserer Lieblingsbeschäftigungen. Manche stellen sich als Touristenfallen heraus, andere verkörpern authentisches Flair. Auf Lebensmittelmärkten gibt es nicht nur frisches Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch zu kaufen. Garküchen bilden das Zentrum. Man kann vor Ort die leckeren Speisen verzehren. Viele Thais stellen sich für daheim aus unzähligen Töpfen ein Mittag oder Abendessen zusammen. Reis, Huhn, Fisch, diverse Soßen werden in wasserdichte, feste Plastikbeutel gefüllt, Gummi drum, fertig. Die einzelnen Gerichte sind aufwendig herzustellen. Da ist es nicht nur zeitsparend, sondern auch billiger sich in einer Garküche zu versorgen, für kleines Geld.


Wir haben uns angewöhnt, morgens nur Reissuppe zu essen. Mittags darf es gebratener Reis mit Ei oder sauer scharfe Tom Yum Suppe sein. Abends steht uns der Sinn nach Nudeln mit Huhn oder Schweinefleisch oder vegetarisches rotes, gelbes, grünes Curry, immer höllisch scharf. Böse Zungen behaupten, dass die thailändische Küche nur drei Geschmacksvarianten kennt: scharf, schärfer, am schärfsten. Das stimmt nicht. Gerichte können auch sauer oder salzig schmecken. Für uns ist es ein Problem, dass Thais mit viel Zucker würzen.

 

 

Wir unternehmen Ausflüge in die wunderschöne Berglandschaft, die Chiang Mai umgibt, besuchen Elefantencamps, tuckern am Ping gen Süden bis in die Stadt Lamphun, entdecken Dörfer inmitten von Reisfeldern, wo Touristen nicht zum Alltag gehören. Man lädt uns ein zu Speis und Trank, als wir zufällig auf ein Dorffest geraten. Die Verständigung findet nonverbal statt. Die Kinder wollen unbedingt neben uns sitzen. Diese wunderbare Gastfreundschaft der Dorfbewohner berührt unser Herz.

Heute ist Sonntag. In der Ratchadamnoen Road findet abends die Walking Street statt. Diese Hauptverkehrsader mitten in der Altstadt wird zur Fußgängerzone. An über 4000 Ständen verkaufen Kunsthandwerker, Kleinhändler, Fotografen, Angehörige der Bergvölkerstämme ihre Waren. Dazwischen findet man jede Menge Garküchen, Grill- und Getränkestände. Auch Straßenmusiker, Porträtmaler, Tanzgruppen unterhalten das Volk. In Nebengassen bieten Masseurinnen ihre Dienste an. Sessel an Sessel nebeneinander aufgereiht sitzt man entspannt, überlässt die müden Füße den geübten Händen der flinken Damen.


Friedrich hat schnell genug von den Menschenmassen, die sich durch die engen Gänge drängeln. Wir entfliehen dem Gewühl hinein in Barlis Refugium. Wir sind bereits Stammgäste und treffen immer nette Leute.

Barli hat Kummer. Letzte Nacht hat man ihm seinen CD Player gestohlen. Den eigentlichen Wert machte eine CD aus, die sich darin befand. Sein in Vietnam lebender Bruder hatte darauf eine tolle Musikmischung zusammengestellt. Swing, Jazz, Blues, Chansons, genau diese Mischung macht den Reiz der Kneipe aus.

An Silvester spazieren wir nach dem Abendessen zur 48. Garage. Aus einem zur Bar umfunktionierten VW Bully ohne Dach serviert man leckere Cocktails. Die jungen Männer, die im Service arbeiten, verstehen nur wenig Englisch. Vor ein paar Tagen hatte einer der Kellner fünfmal nachgefragt, ob er alles richtig verstanden hätte. Ein Kollege wurde herbeigeholt, der unsere Bestellung nochmal abfragte, um wenig später ein weiteres Mal wissen zu wollen, ob wir auch wirklich das bestellt hätten, was er notiert hatte. Dabei ging es nur um zwei Bier und einen Eiskübel.

Heute darf es zur Feier des Tages ein Longdrink sein. In der Getränkekarte offerieren sie Longdrinks in Buckets. Bucket heißt Eimer. In Vietnam versteht man darunter ein größeres Glas.

Ich winke dem jungen Mann, den wir schon kennen und bestelle zwei Buckets Whiskey Cola. Er schaut mich fragend an. Hat er das schon wieder nicht verstanden? Ich wiederhole die Bestellung mit Engelsgeduld:

» Please, two buckets of Whiskey-Coke. One for me, one for my husband.« Jetzt grinst er. Ich bin irritiert.

Es dauert und dauert. Dann erscheint der Kellner wieder auf der Bildfläche. Er schleppt zwei 1 Liter Eimer mit Strohhalmen herbei und platziert sie vor uns. Alle lachen herzlich, wir auch. Was für ein Missverständnis. Zum Glück besteht das Getränk hauptsächlich aus Eis und Cola. Ein wenig beschwipst brechen wir gegen 11 Uhr auf, um am östlichen Stadttor, dem Thapae Gate, das Lichterspektakel zu sehen.

Hunderte, wenn nicht tausende Menschen haben sich eingefunden, um Papierlampions als Glücksbringer aufsteigen zu lassen. Dazu wird an der unteren Öffnung der mit Brennstoff gefüllte Behälter entzündet. Durch die warme Luft entfaltet sich die Laterne bis sie durch genügend Heißluft Auftrieb erhält. Jeder wünscht dem anderen Glück. Zunächst mal dafür, dass der eigene Lampion nicht an Bäumen oder Stromleitungen hängen bleibt. Unsere Laterne steigt steil gen Himmel und gesellt sich zu den tausenden Lichtern, die in den nächtlichen Himmel wie pulsierende Sterne entschweben. Happy New Year! Alle liegen sich in den Armen. Ob aus Mozambique, Finnland, China oder Deutschland für ein paar Minuten empfinden alle gleich. Ein unvergessliches Erlebnis! Gigantisch! Kurz darauf beginnt das Feuerwerk.

Den Absacker nehmen wir bei Barli, der seine ganze Familie zusammengetrommelt hat. Ein Paar aus Köln setzt sich zu uns. In den frühen Morgenstunden treten wir auf Schusters Rappen den Heimweg ins Hotel an. Die Taxifahrer haben wohlverdienten Feierabend. Müde und glücklich sinken wir in die Kissen.

Chiang Mai, was für eine Stadt. Wir kommen wieder.

 

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