Hanoi Beitrag 2

In Hanois Altstadt herrscht unbändige Betriebsamkeit. In den ersten Tagen mussten wir viele Pausen machen. Heute ist endlich ein Ausflug geplant. Es gibt einen neuen Touristenbus, der nicht nur quer durch das Old Quarter, sondern auch um den gesamten Westlake fährt. Normalerweise meiden wir diese oft überteuerten Touren, aber Friedrichs verminderte Lauffähigkeit lässt uns keine Wahl.

 

Das Wetter ist ideal, 28 Grad bei Sonnenschein. Wir sind nur 4 Passagiere in dem 20 Sitzer. 3 Tourguides kümmern sich mit ihrem spärlichen Englisch um uns. Sie verkünden die jeweilige Sehenswürdigkeit, falls man aussteigen möchte. Sie stellen uns ein paar Fragen, die wir auch schon den Kindern am See beantwortet hatten. Für weitere Erklärungen oder Konversation reichen ihre englischen Sprachkenntnisse nicht. Leider sprechen wir kein Vietnamesisch.

 

Wir könnten an 13 verschiedenen Stationen aussteigen und nach Besuch der Museen, Tempel, Pagoden oder Opernhaus in den nächsten Bus, der alle 30 Minuten vorbeikommt, wieder einsteigen. Friedrich hat keine Lust auszusteigen. Wir waren ja schon 2mal in Hanoi und kennen die meisten Sehenswürdigkeiten. Also bleiben wir einfach sitzen und genießen die Aussicht.

 

Am Opernhaus steigen wir dann doch aus und suchen ein nettes Restaurant. Friedrich traut sich trotz seiner Allergie eine vietnamesische Speise zu bestellen. Er hofft, dass bei einer Art Schnitzel keine Geschmacksverstärker verwendet werden. Ich bestelle mir Cha Ca, ein Fischgericht mit frischen Kräutern.

 

Nach einer Stunde können wir den nächsten Bus besteigen, der uns an den Ausgangspunkt am nördlichen Seeufer, mitten in der Altstadt, zurückbringt. Gegen Abend machen wir dieselbe Tour noch einmal und genießen die Abendstimmung am Westlake. Zurück in der Altstadt umtost uns der Verkehr. Vom Bus aus beobachten wir entspannt das Chaos, dass sich erstaunlicherweise immer wieder auflöst. Scheinbar gibt es doch eine Ordnung in dem Gewirr. Wir wundern uns, dass wir keine Unfälle sehen.

 

Eine Pause im Apartment gönnen wir uns, bevor wir Richtung Bia Hoi Corner aufbrechen. Wir haben Glück. Heute am Montag ist die Zone, in der die sympathische Familie ihren Stand hat, geöffnet.

 

Wir nehmen auf den Mini-Stühlen Platz. Friedrich sucht sich eine halbwegs bequeme Sitzposition, verstaut seine Stöcke und schon setzt sich ein Paar neben uns. Die Amerikaner sprechen uns an und nach wenigen Minuten unterhalten wir uns angeregt. Die beiden Mittsechziger unternehmen eine Weltreise.

 

Vor uns mit Blick auf die Straße sitzt ein Asiate mit seiner Partnerin. Der Mann dreht kurzerhand die Stühle in unsere Richtung. Er möchte sich mit uns unterhalten, deswegen wären wir doch alle unterwegs, um mit Menschen aus anderen Ländern zu kommunizieren, stellt er fest. Selbstverständlich! Dieses Paar stammt aus Südkorea. Die beiden haben lange in Kanada gelebt. Ihre erwachsenen Kinder leben noch immer dort. Die beiden Zeitgenossen sind weitgereist. Als sich zwei junge Leute dazu setzen, lädt der Koreaner sie sofort ein, von sich zu berichten. Giorgio und Paola stammen aus Italien, leben jedoch in Australien. Ihr Geld verdienen sie mit Aushilfsjobs. Sie haben ihre Berufe als Krankenpfleger/in nach Corona an den Nagel gehängt. Das in Australien verdiente Geld nutzen die sympathischen Italiener, um  ein paar Monate durch Asien zu reisen.

Der 69jährige Koreaner, der wesentlich jünger wirkt, erzählt uns, dass er nur diesen einen Platz auf der Welt kennt, hier in Hanoi, wo er Kontakt zu jungen Leuten bekommt. In Korea und anderswo würden junge Erwachsene Berührungspunkte zu Älteren meiden. Diese Erfahrung teilen wir leider. Um so schöner, dass wir uns heute getroffen haben.

Beschwingt beenden wir den Abend in der kleinen Kneipe in der Nähe unserer Behausung. Friedrich bewältigt die Strecke ohne Pause.

Bia Hoi ist ein täglich gebrautes Lagerbier, das ohne Konservierungsmittel hergestellt wird und daher nur einen Tag haltbar ist. Es schmeckt wunderbar frisch und wird eiskalt in 0,2l Gläsern für kleines Geld verkauft.

 

Wie in den meisten Straßenrestaurants sitzt man auf kleinen Plastikschemeln. Besonders an dem Stand in der Luong Ngoc Straße, lernen sich die Gäste schnell kennen. Einheimische mischen sich unter die Travellergemeinde und knüpfen Kontakte. Wir treffen Menschen unterschiedlichster Nationen, aus Kolumbien, Russland, Schweiz, Australien, Israel, Ägypten, die einträchtig beieinander hocken. Kinder im Schlafanzug wuseln um die Bier ausschenkende Mutter herum. Der Vater verkauft gebratene Hähnchenspieße und frisch gegrillten Tintenfisch. Es herrscht eine vertraute Atmosphäre, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben.

 

Damals konnten sich nur reiche Bürger das Reis-Malzgetränk leisten, denn Glas war teuer und wie sollte man das Bier ohne Konservierungsstoffe anders lagern? Mehrwegfässer waren die Lösung. Frühmorgens gebraut, am selben Tag geleert. Nach Abzug der Franzosen verhalfen Tschechen den Vietnamesen die Bierbrauerei zu vervollkommnen.

 

In der noch jungen Bierkultur gibt es inzwischen verschiedene Biersorten, die in Flaschen oder Dosen verkauft werden. Elegante Bars bieten unterschiedlichste Biermarken aus Hanoi, Saigon oder Danang an. In derart Lokalen geht es gediegen zu. Betuchte Gäste suchen nach dem besonderen Biererlebnis.

 

Dagegen ist Bia Hoi ein Stoff, der die Gesellschaft zusammenhält. Es gibt in Hanoi Biergärten, in denen sich nur Regierungsbeamte treffen, andere wo sich Arbeiter zuhause fühlen. In der Altstadt jedoch trifft der Uni-Professor den Fischverkäufer, die Schneiderin den It-Spezialisten.

 

Beim fünften Gläschen entzünden sich Diskussionen oder die Frühaufsteher machen ein Nickerchen. Es gibt immer einen Grund, sich auf einen der Minihocker niederzulassen, um ein paar Becher des süffigen Durstlöschers zu leeren.

 

Die nächsten Tage streunen wir durch die Altstadt. Das Leben in diesem Viertel ist bunt und quirlig. Alle Aktivitäten finden bis spät abends auf der Straße statt. Es wird frisiert, gerupft, gekocht, Geschirr gewaschen, Zähne gezogen. Moped-Rangierer vor Restaurants schaffen Platz für die nächsten Gäste. Plastikmüllsammler durchforsten Abfallbehälter. Losverkäufer werben für Gewinne. Um Mitternacht ist Sperrstunde. Die Jugend geht noch nicht heim. Eingeweihte feiern hinter verschlossenen Türen weiter.

 

Dieses Viertel war früher eine autarke Stadt in der Stadt. Kanäle und Wasserstraßen durchzogen das Gebiet. Zum Schutz war die Ansiedlung umringt von Deichen und Wällen. Später errichtete man Stadtmauern, deren Tore nachts abgesperrt wurden. Im 19. Jahrhundert ließen die französischen Kolonialherren die Wasserwege zuschütten, sodass ein Labyrinth aus verzweigten Gässchen entstand.

 

In der Hoffnung auf ein besseres Leben migrierten Handwerker, Händler, Künstler aus Dörfern der näheren Umgebung. Einige kamen sogar aus dem hohen Norden des Landes. Jede Gasse entwickelte ihr Eigenleben, denn die Menschen setzten ihre Dorfgemeinschaft in der neuen Heimat fort. Die Zahl 36 bezieht sich vermutlich auf die Anzahl der Gilden, die es im 15. Jahrhundert gab. Heutzutage erstreckt sich das Areal der Altstadt über mehr als 70 Straßen.

 

Es gibt Gassen für Metallwaren, Küchenutensilien, Ausstatter Shops für Mönche. In der Hang Bac Straße bestimmt Silber den Alltag. Die Handwerker lassen es sich nicht nehmen, den Schmuck selbst herzustellen, um ihr Erbe zu bewahren. Seide findet man in der Hang Gai Straße. Läden voller bunter Stoffballen, flankiert von Kunstgalerien, Maßschneidereien zwischen Souvenirshops und Cafés ziehen die Touristen an, wie Mücken das Licht.

 

Abends lässt Friedrich sich manchmal von einem Rikschafahrer die letzten 800 Meter chauffieren. Am ersten Tag hat man uns noch abgezockt,  jetzt kennen wir die Preise. Wenn ein Cyclist eine zu unverschämte Summe verlangt, entwickelt Friedrich wundersame Kräfte und läuft bis zum Hotel.

Wir treffen den Koreaner mit seiner Frau wieder bei Madame Hoi, wie wir sie jetzt nennen. nach interessanten Gesprächen fällt den Abschied schwer. Man verabredet sich für nächstes Jahr: Same time, same place.

Als wir in der Ban Dam Straße keinen freien Platz am Bia Hoi Stand finden, stellt der Kellner extra für uns ein neues Tischchen samt zwei Kindergartenstühlchen dazu. Auch hier kennt man uns schon.

Ein Vietnamese vom Nebentisch, gut geleidet, etwa 40 Jahre alt, fragt, ob er sich kurz zu uns setzen darf. Er macht uns Komplimente, weil wir in unserem "hohen" Alter noch weite Reisen unternehmen.  Er möchte uns so gern seinen 4 Kindern vorstellen. Seine Visitenkarte zeichnet ihn als Direktor einer Gabelstaplerfirma aus. Die Männerrunde hinter uns wären seine Angestellten, die zum Leichenschmaus eines kürzlich verstorbenen Kollegen zusammengekommen sind. Obwohl der Verstorbene erst 48 Jahre alt war, wird feucht fröhlich gefeiert. Man freut sich, weil man selbst noch lebt, erklärt uns der Mann.

Tanh lädt uns ein, ihn zuhause zu besuchen. Wir bedanken uns freundlich, wissen aber nicht so recht, was wir von der Einladung halten sollen. Es fängt an zu regnen. Zeit zu gehen.

 

 

Abreise Vietnam

 

Obwohl Friedrich mit Nordic Walking Stöcken unterwegs ist, immer nur einige hundert Meter am Stück

schafft, meistert er vortrefflich im chaotischen Straßenverkehr Hanois zurechtzukommen.  Anfangs warten wir auf eine Lücke im Strom der vorbei sausenden Mopeds und dem zunehmenden PKW Verkehr. Nach einer Weile trauen wir uns einfach loszumarschieren. Nicht rennen, keine Haken schlagen, so bleibt man für die Mopeds berechenbar. Offiziell gibt es Regeln, inoffiziell herrscht eine strenge Hierachie. Das größere Fahrzeug hat Vorfahrt. Demzufolge stehen Fußgänger an letzter Stelle.

Fünf Millionen Krafträder dienen nicht nur der Fortbewegung, sondern auch dem Broterwerb. Es gibt nichts, was man nicht auf Scootern transportieren könnte. Turmhoch werden die Roller beladen, mit Bierkisten, Reissäcken oder lebenden Schweinen. Ganze Familien düsen durch das Viertel. Vater vorn, Mutter hinten, zwei Kinder dazwischen geklemmt. Vor Unfällen scheint hier niemand Angst zu haben. Mopedmassen gleiten wie Fischschwärme durch die Straßen. sie drängen sich knotenartig zusammen, um sich kurze Zeit später wieder zu entwirren. Leider sind sie nicht still wie Fische. Permanent wird gehupt, um auf sich aufmerksam zu machen, um zu überholen, um abzubiegen. Der Lärm greift die Nerven an. Zum Glück gibt es Oasen. In kleinen Tempeln, die es in fast jeder Straße gibt, den großen bekannten religiöse Stätten oder zuhause in unserem Apartment, dessen Balkontür mehrfach verglast ist.

Das Apartment ist in Ordnung. Die Küche können wir zwar nicht nutzen, weil sie kaum mit Geschirr ausgestattet ist. Dafür ist das Bad modern, funktional konzipiert, das Bett bequem, mit genügend Kissen, die Friedrich als Unterlage für sein Bein braucht, Wlan einwandfrei funktionstüchtig. Für den kleinen Balkon sind die Stühle zu wuchtig. Was uns jedoch fehlt ist die gemütliche, stimmungsvolle Atmosphäre der Hang Hanh Straße, in der wir sonst gewohnt haben. "Unser" Hotel war leider ausgebucht.

Wehmütig schauen wir nach, ob sich dort etwas verändert hat. Den Schuhputzer gibt es noch. Der Buchladen mit dem Verkäufer, der uns immer ein paar Meter verfolgt hatte, um seine Bücher loszuwerden, ist einem Brillenladen gewichen. Die Stimmung ist dennoch unverändert. Touristen sowie Einheimische flanieren durch die enge Gasse. Kleine Cafes wechseln sich mit Garküchen ab. Die Atmosphäre ist entspannt. Das nächste Mal werden wir wieder hier wohnen.

In der uns bekannten Agentur gleich neben dem Hotel buchen wir den Transport zum Flughafen. Die freundliche Dame bietet uns einen Discount an, wenn wir bereit sind 2 wohlwollende Rezensionen zu schreiben. Das erledigen wir mit ihrer Unterstützung gleich vor Ort. In Zukunft wissen wir, was wir von solcherart Bewertungen halten sollen. Zum Glück stellt sich am nächsten Tag heraus, dass die Vorschusslorbeeren gerechtfertigt waren. Die Dame ruft uns 15 Minuten vor vereinbarter Abreise an und bestätigt, dass der Fahrer unterwegs ist. Pünktlich um 12 Uhr mittags steht er vor der Tür und bringt uns in nur 40 Minuten zum 30 km entfernten Flughafen.

 

Wir hätten den Abreisetag nicht besser wählen können. Es regnet Bindfäden. Bis 19 Uhr müssen wir uns am Flughafen rumdrücken. Die Zeit vergeht schneller als gedacht. Wir lernen einen im Schwabenländle aufgewachsenen Spanier kennen, der in England lebt. Er ist selbstständiger Ergotherapeut, der weltweit mit medizinischen Prothesen handelt. Heute befindet er sich auf dem Weg nach Hong Kong, fliegt weiter nach Taiwan und morgen zurück nach London. Das muss man wollen.

 

Da geht es uns als Rentner besser. Wir freuen uns auf Luang Prabang. Die Propellermaschine mit ca. 50 Passagieren hebt pünktlich ab. Nur eineinhalb Stunden später werden wir von dem vorab bestellten Taxifahrer erwartet und wenig später vor dem gebuchten Apartmentgebäude abgesetzt.

 

Hier ist alles dunkel. Niemand zuhause. Der Taxifahrer weiß auch nicht was los ist, er spricht sowieso kein Englisch. Da stehen wir nun mit Sack und Pack, ratlos in der Gegend rum. Wir haben keine Telefonnummer und können nicht ins Internet, weil wir noch keine laotische Simkarte haben. Was sollen wir nur tun? Der Taxifahrer ist weg. Im schlimmsten Fall die erste Nacht woanders verbringen, aber woher ein Taxi nehmen. Die Straße ist wie ausgestorben. Da knattert ein Moped heran. Ein junger, fröhlicher, blonder Typ stellt sich als unser Vermieter vor. Jonas ist Schwede, lebt seit 7 Jahren mit Familie in Luang Prabang. Er führt uns durch die zweistöckige Wohnung. Im Erdgeschoss können wir uns auf ein Wohnzimmer und eine schmale Küche freuen. Eine Etage höher befinden sich das geräumige Schlafzimmer, das kleine Bad und als Highlight der Balkon mit Blick auf den Fluss Khan. Dass sich auf der gegenüberliegenden Flussseite eine riesige Baustelle ausdehnt, nehmen wir erst am nächsten Morgen durch ohrenbetäubenden Lärm wahr.

 

Jonas ermuntert uns, schnell aufzubrechen, wenn wir noch irgendwo was zu essen oder trinken bekommen möchten. Hier würden früh die "Bürgersteige hochgeklappt". Wir machen uns auf den Weg. Friedrich mault rum, weil er zur Hauptstrasse ein paar Meter bergan laufen muss. Er beruhigt sich aber schnell, als wir nach wenigen hundert Metern nicht nur eine tolle, vollbesetzte Kneipe finden, sondern  die wunderschöne Stadt in romantisches Licht getaucht, so vorfinden, wie wir sie in Erinnerung hatten. Dazu ein eiskaltes Beer Lao, noch angenehme 23 Grad um 22 Uhr. Da lacht mein Liebster und der Abend ist gerettet.

 

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